Kraft und Stoffwechselreaktion der
Beinmuskulatur bei isokinetischer Belastung ( Zusammenfassung )
INAUGURAL-DISSERTATION zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin
von Jens Maschmann
Die Funktionsweise der Skelettmuskulatur ist durch drei charakteristische
Kontraktionsarten charakterisiert: die konzentrische, bei der sich die
Muskelfasern während der Anspannung verkürzen, die isometrische,
bei der die Faserlänge konstant bleibt und die exzentrische, bei der
die Fasern während der Kontraktion gedehnt werden. Durch die Entwicklung
sogenannter isokinetischer Kraftmaschinen, bei denen die Bewegungsgeschwindigkeit
automatisch konstant gehalten wird, können nun auch in vivo diese
Kontraktionsarten am Menschen untersucht werden. Ziel der Arbeit war es
daher, an Knie- und Sprunggelenk Revferenzwerte für die maximalen
Drehmomente der einzelnen Kontraktionsmodi zu ermitteln. Weiterhin war
die Stoffwechselreaktion der Muskulatur auf die verschiedenen Belastungsarten
von Interesse. Dazu wurde die Laktat- und Ammoniakproduktion gemessen.
Schließlich wurde noch der Einfluß des Alters der Probanten
auf die verschiedenen Parameter untersucht.
Die Versuchsteilnehmer waren 64 untrainierte Männer im Alter von 20
bis 60 Jahren, die an Herz, Kreislauf und Bewegunsapparat keine Beeinträchtigungen
aufwiesen. Im Abstand von etwa einer Woche wurden sie erst am Knie- und
dann am Sprnggelenk untersucht. Der Versuchsablauf sah dabei jeweils wie
folgt aus: Aufwärmphase, Anpassung der Meßeinrichtung, fünf
maximale Kontraktionen (Beugung und Streckung) im konzentrischen Modus
bei 60, 180, 240 und 300°/s, 20 Minuten aktive Regeneration, einminütiger
konzentrischer Ausdauertest bei 180°/s, 15 Minuten Erholung, isometrische
Belastungsserie von jeweils 5 s für Beugung und Streckung in 5 verschiedenen
Gelenkstellungen, dazwischen waren je 30 s Pause, anschließend 10
Minuten Erholung, fünf maximale Kontraktionen im exzentrischen Modus
bei 60 und 120°/s, 15 Minuten Pause, einminütiger exzentrischer
Ausdauertest bei 60°/s.
Der Bewegungsumfang am Knie ging von 90° Beugung bis 0° Streckung,
am Sprunggelenk von 30° Plantarflexion bis 10° Dorsalextension.
Die Probanden durften zur Gewöhnung bei jeder Winkelgeschwindigkeit
zwei submaximale Kontraktionen ausführen. Maximalkraft und zugehörige
Gelenkwinkelstellung wurden während der 5er-Serien in den einzelnen
Kontraktionsweisen registriert, Laktat, Ammoniak und Ermüdung waren
bei den beiden Ausdauerbelastungen von Interesse.
Als isokinetisches Meßgerät kam ein LIDO ACTIVE der Firma Loredan
Biomedical, Kalifornien zum Einsatz. Die Laktatuntersuchung erfolgte nut
einem ESAT 6661 von Eppendorf und die Ammoniakbestimmung mittels Ammonikchecker
II, Modell 4120, der Firma Kyoto Daiichi Kagaku, Japan. Die statistischen
Berechnungen wurden mit dem Softwarepaket STATGRAPHICS Version 5, 1991
der Firma STSC, Inc. durchgeführt. Die Untersuchungen der Mittelwertdifferenzen
erfolgte mit dem paarigen t - Test nach Student, die der Abhängigkeit
zweier Größen voneinander durch eine Regressionanalyse. Das
Signifikanzniveau alpha lag, soweit nicht anders angegeben, bei 0,05. Der
Übersicht wegen waren die Probanden in vier Altersgruppen eingeteilt,
was auch für die Abbildungen beibehalten wurde.
Die maximalen Drehmomente am Kniegelenk nahmen in der Konzentrik mit zunehmendem
Alter ab. Bei lsometrie und Exzentrik war dies nur teilweise zu beobachten,
da hier die Maxima von der Gruppe zwei (30-39 Jahre) erzielt wurden. Die
Drehmomente der Beinstrecker lagen über denen der Beuger und beide
wurden mit zunehmender Winkelgeschwindigkeit geringer (von -120°/s
Exzentrik nach 300°/s Konzentrik). Die Gelenkwinkel der maximalen Drehmomente
traten mit zunehmender Geschwindigkeit immer später im Bewegungsbereich
auf.
Am Sprunggelenk fand sich in der Konzentrik eine Altersabhängigkeit
der Drehmomente, Isometrie und Exzentrik verhielten sich uneinheitlich.
Die Werte der Plantarflexion waren größer als die der Dorsalextension.
Mit zunehmender Geschwindigkeit zeigte sich wieder eine Abnahme der Kräfte.
Erwartungsgemäß lagen die Kraftwerte am Knie über den entsprechenden
am Sprunggelenk. Der Quotient aus Kon- und Exzeritrik war am Kniegelenk
höher als am Fußgelenk. Die Beinstrecker erreichten in der Exzentrik
durchschnittlich doppelt so hohe, die Fußbeuger sogar dreifach höhere
Kraftwerte als in der Konzentrik. Die Laktatreaktion war an beiden Gelenken
qualitativ gleich ausgeprägt. Überall fand eine nennenswerte
Laktatproduktion statt, die in der Konzentrik größer als in
der Exzentrik war. Die höchste Blutlaktatkonzentration trat in der
Konzentrik am Knie später auf als am Sprunggelenk, für die Exzentrik
ließ sich ein eindeutiger Spitzenzeitpunkt bei 3 Minuten nur am Fußgelenk
feststellen. Wie zu erwarten bildete die Oberschenkelmuskulatur bei konzentrischer
Belastung im Vergleich zum Unterschenkel mehr Laktat. Dieser Unterschied
bestand in der Exzentrik jedoch nicht.
Wie schon für die Laktatreaktionen fand man auch beim Ammoniak deutliche
Anstiege nach jeder Belastung sowie höhere Werte in der Konzentrik.
Durchweg trat die maximale Ammoniakkonzentration nach 3 min. oder eventuell
noch später auf. Ober- und Unterschenkelmuskulaur unterschieden sich
hinsichtlich der produzierten NH3-Menge bei konzentrischer Belastung (KG>SG),
in der Exzentrik bestand kein statistischer Unterschied.
Gemeinsames Merkmal der Ermüdung an beiden Gelenken war das deutlich
schwächere Nachlassen der Krafterzeugung bei exzentrischer Belastung.
Die Abnahme der Ermüdung mit steigendem Alter war nicht uberall zu
erkennen, doch konnte man zumindest feststellen, daß ältere
Teilnehmer niemals stärker ermüden, als jüngere.
Die Abnahme der erzielten Drehmomente mit steigendem Alter scheint in der
Konzentrik einem linearen Verlauf zu folgen. In Isometrie und Exzentrik
nimmt die Kraft erst ab Mitte dreißig ab, was von anderen Autoren
bestätigt wird. Als Gund wird eine altersbedingte Abnahme der Muskelfaseranzahl,
insbesondere der schnelI kontrahierenden FT-Fasern, diskutiert. Weiterhin
kommen eine Abnahme funktionierender motorischer Einheiten, neurogene Veränderungen
sowie Alterationen der kontraktilen Proteine in Betracht.
Der abfallende Verlauf der Kraftkurve von der Exzentrik uber die Isometrie
zur Konzentrik ist von in-vivo Untersuchungen bekannt. Als Erklärung
für die hohen exzentrischen Drehmomente wird ein quasielastisches
Verhalten der Muskelfasern angenommen, da keine erhöhte neuromuskuläre
Aktivität gegenüber der Konzentrik nachweisbar war. Es handelt
sich demnach um ein "mechanisches" Phänomen, das durch Anheften
und Aufbrechen der filamentaren Querbrücken zustande kommen könnte.
Die schwachen Kräfte bei hohen konzentrischen Geschwindigkeiten können
durch mehrere Faktoren zustande kommen: Neben einer nachlassenden Koordinationsfähigkeit
der Probanden bei schnellen Bewegungen und meßtechnischen Einflüssen
spielt auch die unterschiedliche Faserzusammensetzung der beteiligten Muskeln
eine Rolle. Bei schneller Kontraktion dürften die langsamen ST-Fasern
ihren Anteil an der Krafterzeugung verringern, so daß nur noch die
FT-Fasern aktiv bleiben. Dies könnte am Knie auch ein Grund für
die Verschiebung der Gelenkwinkel der maximalen Drehmomente mit ansteigender
Geschwindigkeit sein, die die zunehmende FT-Aktivität widerspiegelt.
Die gefundenen hohen Laktat- und Ammoniakanstiege bei konzentrischer Kurzzeitausdauer
stehen im Einklang mit anderen Untersuchungen. Dabei wird die Freisetzung
hauptsächlich den FT-Fasern zugeschrieben, da sie die entsprechende
Enzymausstattung besitzen. Durch den hemmenden Einfluß dieser Metabolite
auf die Kontraktilität (z.B. pH-Abfall, Enzyminhibition, Potentialveränderung)
läßt sich die starke Ermüdung in der Konzentrik gut erklären.
In der Exzentrik hingegen besteht bei wesentlich größerer Kraftproduktion
eine vergleichsweise geringe metabolische Reaktion sowie eine sehr geringe
Ermüdung. Dies legt die Vermutung nahe, daß während exzentrischer
Kontraktion ein Belastungsprofil vorliegt, das dem rekrutierter ST-Fasern
entspricht. Ob dies durch eine wirkliche Dominanz der ST-Fasern geschieht
oder ob die FT-Fasern einem bestimmten Innervationsmuster unterliegen (z.
B. kurzzeitige "gepulste" Aktivität) und dadurch weniger
metabolisieren und ermüden, muß noch weiter untersucht werden.